Datenerfassung
Im vorherigen Kapitel haben wir uns mit Daten auf semantischer Ebene beschĂ€ftigt â mit ihrer Bedeutung, Struktur und Klassifikation. Wir haben gelernt, was Daten sind, wie sie sich von Information und Wissen unterscheiden, und welche verschiedenen Arten von Daten es gibt (qualitativ, quantitativ, nominal, ordinal, ...).
Doch wie entstehen Daten ĂŒberhaupt? Woher kommen die 23,5°C, die wir als Temperaturmesswert ablesen? Wie wird aus einem physikalischen Reiz (Licht, Schall, Druck) eine digitale Information, mit der ein Computer arbeiten kann?
In diesem Kapitel wechseln wir die Perspektive und betrachten den technischen Prozess der Datenerfassung â die erste Stufe im Lebenszyklus von Daten. Wir schauen uns an, wie biologische Systeme (der Mensch) und technische Systeme (Sensoren, Computer) Daten erfassen â und werden dabei erstaunliche Parallelen entdecken.
Wie erfassen wir Menschen Daten?
Ein wichtiges Merkmal aller Lebewesen ist es, Daten aus der Umwelt zu erfassen, sie als Information zu verarbeiten und daraus Aktionen abzuleiten.
Dieser Prozess lĂ€uft bei uns Menschen ĂŒber unsere Sinnesorgane ab â sie sind unsere Sensoren zur Umwelt. Unsere Umgebung sendet fortlaufend Reize aus â in Form von Licht, Schall, Druck, Geruch oder chemischen Stoffen. Diese Reize werden von den Sinneszellen aufgenommen, in elektrische Signale umgewandelt und anschlieĂend vom Gehirn verarbeitet.
flowchart LR
A[Daten #40;Reize#41;]:::peach --> B(Sensoren / Sinnesorgane):::teal
B --> C[Informationsverarbeitung #40;Nervensystem, Gehirn#41;]:::peach
C --> D(Aktoren / Muskeln):::teal
D --> E[Aktion #40;Bewegung, Sprache, Reaktion#41;]:::peach
classDef peach fill:#FFB482aa,stroke:#333,stroke-width:1px;
classDef teal fill:#009485aa,stroke:#333,stroke-width:1px;
Die erfassten Daten liegen in ganz unterschiedlichen physikalischen Formen vor:
- Elektromagnetische Signale â Licht, Farbe, WĂ€rme
- Akustische Signale â Sprache, Musik
- Mechanische Signale â Druck, Vibration, BerĂŒhrung
- Chemische Signale â Geschmack, Geruch
Das Gehirn filtert diese Rohdaten, reduziert sie auf das Wesentliche und formt daraus Information, die bewusst wahrgenommen werden kann (vgl. Abschnitt Von Daten zum Wissen).
Datenmenge Sinnesorgange (nach Zimmermann, 1993)
Beim Menschen geschieht dieser Prozess der Datenverarbeitung meist unbewusst. Von den ca. 11,2 Mbit/s, die unsere Sinnesorgane aufnehmen, gelangen nur etwa 77 Bits/s ins Bewusstsein (â 0,01 â°).
An einem Tag mit 16 Stunden Helligkeit ergibt sich eine Datenmenge von ~72 GB alleine durch das menschliche Auge. Bewusst wahrgenommen werden allerdings nur ~288 kB.
Zum Vergleich: die geschÀtzte SpeicherkapazitÀt unseres Gehirns betrÀgt ~60 TB
Reflexion
Unser Gehirn agiert wie ein intelligentes Filtersystem â es verwirft 99,99 % aller Daten. Auch in der Informatik ist das Ziel, relevante Informationen aus groĂen Datenmengen zu extrahieren â ein Konzept, das der biologischen Wahrnehmung erstaunlich Ă€hnelt.
Die Messkette
Technische Systeme funktionieren nach einem ganz Ă€hnlichen Prinzip wie unser Körper: Auch sie benötigen eine Kette von Komponenten, um reale, analoge GröĂen in digitale Daten umzuwandeln, zu verarbeiten und daraus Aktionen abzuleiten. Diese Kette wird als Messkette bezeichnet und kann vereinfacht wiefolgt dargestellt werden.
flowchart LR
A[MessgröĂe #40;physikalisch#41;]:::peach --> B(Sensor):::teal
B --> C(VerstÀrker):::peach
C --> D(A/D-Wandler):::teal
D --> E(Steuereinheit / Rechner):::peach
E --> F(D/A-Wandler):::teal
F --> G(Aktuator):::peach
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classDef teal fill:#009485aa,stroke:#333,stroke-width:1px;
- Der Sensor ist das "Sinnesorgan" einer Maschine. Er ist die Schnittstelle zwischen physikalischer Welt und digitalem System. Er wandelt eine physikalische GröĂe (z. B. Temperatur, Druck, Licht) in ein elektrisches Signal um. Da Sensorsignale oft sehr klein oder nichtlinear sind, mĂŒssen sie im nĂ€chsten Schritt verstĂ€rkt werden.
- Ein VerstĂ€rker erhöht die Leistung des Sensorsignals und kann gleichzeitig NichtlinearitĂ€ten ausgleichen. Er sorgt also dafĂŒr, dass das Signal robust und auswertbar wird.
-
Unsere reale Welt ist analog, aber Computer verarbeiten digitale Daten. Daher wird ein A/D-Wandler (ADC) benötigt, der analoge Signale in digitale Werte umwandelt.
Merke
Manche Systeme benötigen keinen A/D-Wandler, weil die Daten bereits digital vorliegen. Das gilt z. B. fĂŒr Daten aus einer Datenbank (Kundenverhalten, UmsĂ€tze) oder fĂŒr digitale Sensoren (z. B. Inkrementalgeber, IÂČC-Sensoren).
-
In der Steuereinheit findet die Datenverarbeitung statt â hier kommen Methoden der Data Science, Regelungstechnik oder Signalverarbeitung zum Einsatz. Das kann ein Computer, ein Mikrocontroller, ein FPGA oder sogar ein neuronales Netzwerk sein.
- Wenn das System mit der analogen Welt interagieren soll (z. B. Anzeige, Motor, Lautsprecher), muss das digitale Signal wieder in ein analoges Signal umgewandelt werden. Dazu dient der D/A-Wandler (DAC).
- Der Aktor setzt elektrische Signale und Energie in physikalische Bewegung oder ZustandsĂ€nderung um. Er ist also das GegenstĂŒck zum Sensor. Beispiele sind Motoren, LEDs, Heizungen oder Roboterarme.
Beispiel aus der Praxis
Ein selbstfahrendes Auto nutzt eine Vielzahl von Sensoren, um seine Umgebung zu erfassen:
flowchart TB
subgraph Sensoren
A1[Kamera #40;optisch#41;]:::teal
A2[Lidar #40;Laser#41;]:::teal
A3[Radar #40;Funkwellen#41;]:::teal
A4[Ultraschall]:::teal
A5[GPS]:::teal
A6[IMU #40;Beschleunigung#41;]:::teal
end
subgraph Verarbeitung
B[Sensorfusion]:::peach
C[KI-Algorithmen]:::peach
D[Entscheidungssystem]:::peach
end
subgraph Aktoren
E1[Lenkung]:::teal
E2[Gas/Bremse]:::teal
E3[Beleuchtung]:::teal
end
A1 & A2 & A3 & A4 & A5 & A6 --> B
B --> C
C --> D
D --> E1 & E2 & E3
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classDef teal fill:#009485aa,stroke:#333,stroke-width:1px;
Sensoren und ihre Rolle:
- Kamera: Erkennung von Fahrbahnmarkierungen, Verkehrsschildern, FuĂgĂ€ngern
- Lidar: 3D-Abstandsmessung zur Umgebung (Punktwolke)
- Radar: Geschwindigkeit und Entfernung anderer Fahrzeuge
- Ultraschall: Nahbereichserkennung (Einparken)
- GPS + IMU: Position und Bewegung des Fahrzeugs
Alle Daten werden fusioniert und von neuronalen Netzen analysiert, um Entscheidungen wie âBremsen", âAusweichen" oder âBeschleunigen" zu treffen.
Vergleich Mensch đ±đŒ â Maschine đ€
Fazit
Sowohl biologische als auch technische Systeme funktionieren nach demselben Prinzip:
Daten aufnehmen â verarbeiten â reagieren.
In der Informatik nennen wir das den Prozess der Datenerfassung, der die Grundlage jeder Datenanalyse bildet.
Praxisaufgabe: Eigene Messkette analysieren
Aufgabe: WÀhle ein technisches GerÀt aus deinem Alltag (z.B. Smartphone, Fitness-Tracker, Kaffeemaschine, Spielkonsole) und analysiere:
- Welche Sensoren sind verbaut?
- Welche physikalischen GröĂen werden gemessen?
- Wie werden die Daten verarbeitet?
- Welche Aktionen werden ausgelöst?
- Wo findet A/D-Wandlung statt?
Erstelle ein Flussdiagramm der Messkette analog zu den obigen Beispielen.
Zusammenfassung đ
- Datenerfassung ist ein fundamentaler Prozess, der sowohl bei biologischen als auch bei technischen Systemen stattfindet: Daten aufnehmen â verarbeiten â reagieren.
- Die Messkette ist das technische Pendant zur biologischen Datenerfassung und besteht aus: Sensor, VerstÀrker, A/D Wandler, Steuereinheit, D/A Wandler und Aktor.
- Mensch und Maschine funktionieren nach vergleichbaren Prinzipien: Sinnesorgane â Sensoren, Nervensystem â Signalverarbeitung, Gehirn â Rechner, Muskeln â Aktoren.
- Die QualitĂ€t der Datenerfassung bestimmt die QualitĂ€t der nachfolgenden Verarbeitung und Analyse â âGarbage in, Garbage out".
- Verschiedene Sensortechnologien ermöglichen die Erfassung unterschiedlicher physikalischer GröĂen: Temperatur, Druck, Licht, Schall, Beschleunigung, chemische Zusammensetzung.
- Sensorfusion kombiniert Daten aus mehreren Sensoren, um ein vollstÀndigeres und zuverlÀssigeres Bild der RealitÀt zu erhalten (z.B. autonome Fahrzeuge).
Im nĂ€chsten Kapitel schauen wir uns an, wie diese erfassten Daten verarbeitet werden â in welcher Form Computer intern mit Daten arbeiten und warum das BinĂ€rsystem die Basis aller digitalen Verarbeitung ist.